Tag 4

23. Juli 2022: leicht bewölkt, vereinzelt Regenschauer, 25 Grad, abends trocken bei 16 Grad          

Programm

Sonnenaufgang

Es ist vier Uhr morgens, und eine kleine Gruppe Jugendlicher und Betreuer macht sich auf den Weg, den Sonnenaufgang zu betrachten. Die Teilnahme ist freiwillig. Sechs Schülerinnen und Schüler hatten sich am Vortag dafür angemeldet, vier haben es aus dem Bett geschafft und trotten nun im Dunkeln los. Wir gehen durch den Ort auf eine große Wiese mit Blick auf die Berge, umgeben von Bäumen. In der Nähe plätschert die Leitzach.
Wir suchen uns alle einen Platz, an dem wir verweilen wollen, bis es hell wird. Es ist ganz still. Die Ruhe tut gut. Ganz allmählich erwacht die Welt aus ihrem Tiefschlaf. Man hört die Blätter rauschen, ab und zu raschelt es im Unterholz, ein Hase schaut interessiert vorbei. Schließlich beginnt es zu nieseln, und wir setzen uns unter einen Baum, um nicht völlig nass zu werden. Nur einer nicht. Der Schüler genießt jeden Tropfen und diesen doch irgendwie magischen Moment auf der Wiese bis zum Schluss. Später wird er sagen, dass diese Erfahrung sein Highlight der Woche war. Was für eine schöne Belohnung für uns!

Nach einem kurzen Nickerchen bereiten wir einen Samstagsbrunch vor mit, mit Waffeln und Rührei. Der Waffelteig wird mit höchster Präzision angerührt, und tatsächlich – das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Zauberhafter Zehnzeiler

Gut gelaunt geht es dann in eine neue Workshop-Session mit Nils Mohl und Pierre Jarawan. Nils gestaltet mit der Gruppe „zauberhafte Zehnzeiler“, um die vergangenen Tage und Erlebnisse Revue passieren zu lassen.
Wie funktioniert das?

  1. Schreibe acht Ereignisse von gestern auf. Und zwar nach diesem einfachen Muster, immer das Verb (im Präteritum) zuerst und ohne das Ich davor. Zum Beispiel: Schaute hinaus in den Regen vor dem Fenster. Malte mit einem Stock einen Kreis auf den Sandboden.
    Tipp: Manchmal wirken ganz alltägliche Dinge schon toll, doch noch toller sind meist die Dinge, die wir sonst selten oder nie tun.
  2. Schummle zwischen die wirklichen Erlebnisse ein ausgedachtes, gern auch ein besonders überraschendes, sehr unwahrscheinliches Ereignis. Zum Beispiel: Fliege auf einer Hummel zum Bergesgipfel.
    Tipp: Oft passieren Dinge einem nur fast. Man sieht zum Beispiel einen unheimlichen Hund und denkt vielleicht kurz darüber nach, wie es wohl wäre, wenn man ihn anbellen würde, bevor er es tut.
  3. Füge deiner Aufzählung einen Titel und dann noch eine letzte Zeile hinzu, die da lauten soll: Schrieb ein kleines Gedicht.
    Tipp: Guck, ob es etwas gibt, das deine Zeilen gemeinsam haben. Vielleicht gibt dir das eine Idee für den Titel. Ansonsten funktioniert immer eine Kopplung aus Wochentag und Gedicht super. Also zum Beispiel: Montagsgedicht. Oder wenn du auf einer Klassenfahrt bist: Reisegedicht.

Meine Gedanken

Meine Gedanken
Verschlief einen Sonnenaufgang
backte Waffeln
vergaß den letzten Tag
machte Frühstück für alle
Sah eine pinke Fee
putzte meine Zähne
verabschiedete mich vom Lehrer
fotografierte Seifenblasen
schrieb einen Brief an mich
schrieb ein kleines Gedicht

Jolie

Reisegedicht

Spielte UNO
bestieg einen Berg
ging im Edeka einkaufen
spielte Fußball
flog auf einem Schmetterling herum
kochte das Abendessen
spülte Geschirr ab
schrieb ins Logbuch rein
machte Fotos
schrieb ein kleines Gedicht

Aylin

Mehrsprachigkeit

Parallel dazu arbeitet eine Gruppe mit Pierre Jarawan. Der Fokus dieses Workshops liegt vor allem darauf, dass die Jugendlichen ein neues (Selbst-)Bewusstsein im Umgang mit ihrer (Zweit-)Sprache erlangen und dies in die Textproduktion einfließen lassen. Die Teilnehmenden werden nach ihrer (Zweit-)Heimat und den jeweiligen Sprachen befragt, mit denen sie im Alltag umgehen. Die in der Gruppe vertretenen Sprachen sind: Somali, Polnisch, Türkisch, Russisch, Albanisch, Französisch, Arabisch, Bosnisch und Deutsch. Die Jugendlichen tauschen sich darüber aus, was sie mit „Heimat“ oder „Zweitheimat“ verbinden und mit wem und in welchen Situationen sie ihre Zweitsprache sprechen. Oft wird hier der familiäre Kontext genannt. Außerdem interessiert uns, was sie mit ihrer (Zweit-)Heimat verbinden. Die Gruppe bekommt einen Auszug aus Pierre Jarawans Roman „Am Ende bleiben die Zedern“ vorgelesen, eine sehr detaillierte und sinnliche Beschreibung von Beirut. Das ist der Aufhänger für die nächste Schreibübung. Der Auftrag lautet, einen Text zu verfassen, der die (Zweit-)Heimat oder ihr aktuelles Leben mit allen Sinnen beschreibt. Der Text soll aus mindestens fünf Sätzen bestehen, das heißt, jedem Sinn (Sehen, Hören, Riechen, Fühlen, Schmecken) soll mindestens ein Satz gewidmet sein. Die Texte können auch mehrsprachig sein, indem Wörter aus anderen Sprachen in den Text eingebunden werden.

Kosovo:Sobald ich an der Grenze stehe höre ich die albanischen Hits die international Erfolg haben. Diesen Geruch kann man schwer beschreiben, es riecht irgendwie nach Drifts von Autos aber auch irgendwie nach Natur. Es ist auf jeden Fall ein sehr geiler Geruch. Ich sehe schon in der Innenstadt die schönen Mädchen vorbeilaufen, jede schöner als die andere. Ich fühle schon die warme Zeit. Die billigen Restaurants schmecken besser als überall. In einer Woche ist es soweit.

Musli

Mein Leben schmeckt wie Kaugummi, denn nach einiger Zeit braucht man immer einen neuen. Es riecht wie in einer Süßigkeitenfabrik und oft sieht es aus wie in einem Schuhsalat. Wäre es ein Klang hört es sich an wie in einer Stadt. Mein Leben fühlt sich an wie Nieselregen auf der Haut.

Jolie

Meine Heimat: In der Heimat angekommen rieche ich das gekochte Essen, das mir gemacht wurde. Ich esse und schmecke die Schärfe in meinem Mund. Schade ist, dass, wenn man raus aus dem Dorf geht, es normal ist die Schüsse gegen das Land zu hören. Der Boden ist nicht aus normalem Stein sondern staubig. Ich nehme ihn in die Hand und spüre es zerbröseln. Ich sehe das kleine Dorf, die lange Straße links und rechts und Häuser. Man weiß wo wer wohnt. Die Gastfreundlichkeit ist immer schön zu sehen. Mir gefällt es im Iraq sehr.

Amin

Abschluss

Nach den Workshops treffen wir in einer Abschlussrunde zusammen. Es werden Texte aus beiden Gruppen präsentiert und ein Stimmungsbild über die letzten Tage eingefangen. Das Logbuch und die Fotodokumentation sind gut angekommen, auch die Bergtour mit dem Sonnenaufgang und die Leserunden werden als Highlights genannt.

Den letzten Abend werden wir gemeinsam mit Kino ausklingen lassen. Nils Mohl hat die Verfilmung seines Buches „Es war einmal Indianerland“ mitgebracht. Mit vielen Snacks ausgerüstet sitzt die Klasse M8c gespannt im Seminarraum und wartet darauf, dass der Film beginnt. Am Ende wird er mit tosendem Applaus gewürdigt. Anschließend löchern die Jugendlichen Nils Mohl noch mit Fragen zu seinem Buch, seinem Film und den Dreharbeiten. Ein gelungener Abschluss der gemeinsam verbrachten letzten vier Tage!

Ende Gelände!